Autoren und ihre Bücher: Esther Gille
Nach längerer Pause geht es heute in der Reihe der Autorenvorstellungen weiter. Diesmal stelle ich euch Esther Gille vor. Aber lassen wir die Autorin zunächst selbst zu Wort kommen:
.
Selbstvorstellung
Ich bin am 26.11.1948 in Basel/CH geboren und wurde zur Adoption freigegeben. In meiner in der Schweiz verbrachten Kindheit und Jugend erlebte ich schwere psychische und physische Gewalt. Bereits an Depressionen erkrankt, zog ich mit neunzehn Jahren mit meinem deutschen Mann und dem Sohn nach Nordrhein-Westfalen. Meinen erlittenen Traumatisierungen begegnete ich mit dem Mut zur Veränderung. Nach 12 Jahren Ehe erfolgte die Scheidung. Ich begann mein Studium der Humanmedizin an der Universität zu Düsseldorf und promovierte. Bereits während meiner Assistenzarztausbildung war ich als Oberärztin in der Gastroenterologie tätig. Meine progrediente, seelische Erkrankung zwang mich jedoch zur Berufsaufgabe. Meine medizinische Laufbahn endete in der Psychiatrie. In meinem 70sten Lebensjahr entschloss ich mich als letzte Möglichkeit zu einem überlebensnotwendigen Aufenthalt in einer psychotherapeutischen Fachklinik. Im Rahmen der nachhaltig erfolgreichen Therapie und zurück in einem guten, authentischen Leben schrieb ich mein Buch „NOVEMBERKIND“.
.
Natürlich gibt es zu diesem Roman auch den Klappentext …:
„… Was liegt zwischen Leben und Tod? Die Depression. Das zu früh verstorbene innere Dasein. Das gequälte, verlorene, hilfsbedürftig leidende und alleine gelassene innere Kind. Das Kind, welches mich dereinst ins Leben zurückholen würde. Ein Wesen, von dem ich noch nichts ahnte. Was blieb, war ein funktionierendes Existieren. Eine Art Selbstläufer. Nicht mehr fühlen, stumm und taub, keine Selbstliebe mehr. Selbst der Selbsthass war mir abhandengekommen. Die Eigenverantwortung hatte ihre Verantwortung aufgegeben. Warum soll sie sein, wenn doch nichts mehr ist? Wenn alles zerfällt. Sich auflöst, als wäre es nie gewesen.“
Eine dramatische Retrospektive: Die Willenskraft einer Frau die sich, trotz Schwierigkeiten und trauriger Vergangenheit, professionell verwirklicht. Sie schafft eine psychoanalytische Analyse ihres Lebens und zeigt uns, dass maladaptive Lerbensschemata überwunden werden können und dysfunktionale Bewältigungsstile revidierbar sind.
Alle Mitglieder einer Familie sind durch emotionale Bande miteinander verknüpft. Sind diese Verbindungen gestört, kann dies zu psychischen Problemen oder Krankheiten bei einem oder mehreren Mitgliedern der Familie führen.
„… Hab das Fraglose infrage gestellt. Suchte die Wirklichkeit hinter der Wahrheit. Aber gab es den überhaupt eine? Ja, das schon. Es gab Mutters Wahrheit und die meine – wo war der Konsens? …Ich hatte mir den höchsten akademischen Titel in Deutschland erarbeitet… Dort stand geschrieben: Nachdem die Inauguraldissertation vorgelegen hat und mit der Note „Sehr gut“ bewertet wurde und alle übrigen Dissertationsleistungen erfüllt wurden, erteilt die Medizinische Fakultät der Universität Düsseldorf Ihnen den Grad eines Doktors der Medizin. Wie aber ging es mir? Ein ganz kurzes Empfinden von Freude war da. Sonst nichts. Ich saß auf einem Stuhl. Ferner von mir den je. Nur einen Gedanken im Kopf: Alles, was zu leisten war, hast du nun hinter dir. Jetzt kannst du Abschied nehmen. Ich verspürte die große Sehnsucht in mir, einfach für immer sitzen zu bleiben.“
Eine mutiger, autobiografischer Roman.
.
… und eine Leseprobe:
Was hat die Frau empfunden, die in der Morgenfrühe eines Novembertages 1948 ihre zweite, ungewollte, nicht eheliche Tochterin diese Welt brachte? Alleine, im Hinterzimmer einer kleinen Gastwirtschaft in der Schweiz, nahe der Basler Grenze. Was ging in ihr vor, als sie in noch völliger Erschöpfung und Verzweiflung unmittelbar nach der Geburt versuchte, ihr Neugeborenes mit einem Kopfkissen zu ersticken? Hat eine Frau, eine Mutter, in einer derart grausamen Situation noch Zugang zu ihren Gefühlen?
Und wenn ja, zu welchen? Was hat sie veranlasst, ihre kleine Tochter in Dunkelheit und Kälte über Stunden alleine zu lassen unter der Last des beinahe todbringenden Kissens auf dem Gesicht des Säuglings? Oder war es gar keine Verzweiflung? Waren da nur Nüchternheit, Wut und Hass? Galt der Tötungsversuch gar nicht dem Kinde, sondern vielmehr dem Mann, dem sogenannten Vater ihres Kindes, der sie mit diesem gerade geborenen kleinen Bündel Mensch und ihrer gesamten Situation im Stich gelassen hatte? Der sie bezahlte dafür, dass sie seinen Namen als Erzeuger – und somit die Herkunft des kleinen Mädchens – nicht preisgab auf Lebenszeit. Und das kleine Wesen jeder Möglichkeit einer gesunden Selbstwerdung beraubte. Und warum versagte der legendäre Mutter Kind Schutzmechanismus? Bekannterweise doch angelegt in jedem fühlenden, fraulichen Wesen, auf eine so erschreckende Art und Weise? Ich werde es nie erfahren. Aber ich habe sie überlebt, diese Nacht. Geblieben ist die verstörende Frage, wie ein nachgeburtlich so schwer traumatisiertes Kind auf seinem Lebensweg umgehen wird mit einer solchen Furchtbarkeit. Neugeboren ist ein kleiner Mensch noch ohne Worte. Was ihm geschieht, nimmt er noch unbewusst, auf jener schwer zugänglichen Ebene wahr, die mit ihren prägenden Inhalten dereinst zu einem Teil seiner Lebenssteuerung beitragen wird. Wer mich nach quälend langer Zeit erlöste, mir das überlebenswichtige Atmen wieder ermöglichte, ist mir nicht bekannt. Bis zum Beginn meiner schmerzhaften und schwierigen stationären Psychotherapie am Jahresanfang 2019, kannte ich im Umgang mit Kissen und Ähnlichem vorwiegend Vermeidungsstrategien.
.
Die eBook-Ausgabe ist für Dezember 2020 angekündigt.